Erinnerungen

ErinnerungenZwei Freunde wanderten gemeinsam durch die Wüste.

Eines Tages gerieten sie in Streit. Es war ein so schlimmer und heftiger Streit, wie er nur zwischen zweien ausbrechen kann, die sich nahe stehen und einander wichtig sind. Schließlich wurde der eine ganz verzweifelt, weil ihn der andere einfach nicht verstand. Es kam so weit, dass er gegen den anderen die Hand erhob und diesen schlug. Der sagte nichts, sondern kniete sich hin und schrieb mit dem Finger in den Sand:
Heute hat mich mein Freund geschlagen.

Danach setzten sie ihren Weg fort. Sie redeten bald wieder und versöhnten sich.

Einige Stunden später erreichten die zwei eine blühende Oase. Da lag neben einem dunklen Felsen ein von hohen Palmen umgebener schöner See. Die Freunde waren müde, durstig und staubig von der Wanderung. So liefen sie voller Freude zum Wasser. Da rutschte einer der beiden aus und fiel in den Teich. In der Wüste kann nicht jeder schwimmen, sodass der Mann nun zu ertrinken drohte. Sein Freund handelte ohne zu zögern. Er hielt sich mit einer Hand an einer Palme fest und zog mit der anderen seinen Freund aus dem Wasser.

Der Gerettete ging nun zu dem dunklen Stein und ritzte mit seinem Messer hinein: Heute hat mein Freund mir das Leben gerettet.

Als die beiden ein Jahr später gemeinsam die gleiche Reise machten, da kamen sie an der Stelle vorbei, an der sie in Streit geraten waren. Doch der Wind hatte schon lange verweht, was der eine damals in den Sand geschrieben hatte.

Aber als sie bald darauf zur Oase kamen, stand da immer noch auf dem dunklen Stein: Heute hat mir mein Freund das Leben gerettet.

Herausgeber: Der Katholische Familienverband Tirol, Riedgasse 9, 6020 Innsbruck nach mündlicher Überlieferung frei erzählt von Frau Wolle in dem Buch: „Augenblick und Ohrenglück“,
www.frauwolle.at, Illustration: Almuth Mota